Ökologie

Was ist Ökologie? Viele würden diesen Begriff mit Umweltschutz gleichsetzen. Im Kampf für die Erhaltung der Natur ist jedoch vieles mehr verborgen. „Für die Umwelt“ zu sein bedeutete für lange Zeit lediglich weniger Müll zu produzieren, weniger Plastik zu benutzen und im individuellen Konsumverhalten die richtigen, „grünen“ Entscheidungen zu treffen. Heute ist jedoch vielen klar, dass Ökologie mit Fragen der Macht zusammenhängt und die Zerstörung der Natur eng verworben ist mit der kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaftsstruktur, in der wir leben.

Im Jahr 2018 wurde Fridays for Future, eine Bewegung, die durch ihre weltweiten Massenproteste gegen die politische Untätigkeit in Bezug auf den Klimawandel bekannt geworden ist, gegründet. Nach dem Motto „Auf einem zerstörten Planeten können wir keine Zukunft bauen“ sind überwiegend junge Menschen jeden Freitag und in vielen Ländern der Welt auf die Straßen gegangen und haben gestreikt. So ist der Kampf gegen die Zerstörung der Natur heute in aller Munde. Doch auch lange vor Fridays for Future hat es ökologische Aufstände und Kämpfe gegeben. Hier einige Beispiele:

  • Indigene im Amazonas leisteten bisher immer Widerstand für die Erhaltung des Regenwaldes. Abholzung, Entwaldung und Brandrodung haben ihre Lebensräume extrem zerstört und verkleinert. Das wurzelt u.A. im jahrhundertelangen Kolonialismus, der durch sein Eindringen den dortigen Völkern ihre Lebensgrundlage entrissen hatte.
  • Im Kongo gab es zahlreiche Aufstände in Dörfern, als belgische Unternehmer in den Jahren 1888-1908 im Kontext des „Kautschukboom“ Land und seine Bevölkerung durch systematische Gewalt und Slaverei ausbeuteten und wirtschaftlich von sich abhängig machten. Aufstände wurden brutalst niedergeschlagen und endeten mit Tod, Folter und Vergewaltigungen, die besonders Frauen trafen.
  • Viele Jahre lang haben sich Aktivist*innen, u.A. die Initiative zur Rettung von Hasankeyf, in der Türkei für die Erhaltung der antiken Stadt Hasankeyf eingesetzt, das aufgrund eines Staudamms im Rahmen des Südostanatolien-Projekts der türkischen Regierung nun mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt überflutet wird. Somit verschwinden nicht nur 9000 Jahre Menschheitsgeschichte. Gleichzeitig enden die Umsiedlungen in sozialer Perspektivlosigkeit  und Armut.
  • Die „No-TAV“-Bewegung kämpft seit Anfang der 2000er Jahre gegen den Bau einer Schnellzugstrecke in der norditalienischen Piemont-Region. Die Errichtung dieser Strecke würde sich nicht nur drastisch auf die dortige Natur, sondern auch auf das Leben der Menschen dort auswirken.
  • Seit Jahrzehnten protestieren Aktivist*innen auf vielfältige Weise gegen die Rodung des 12000 Jahre alten Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen durch den Milliardenkonzern RWE. Besetzungen und  Blockaden wurden auf brutale Weise von der Polizei aufgelöst.
  • In Indien gab es zur Kolonialzeit viel Widerstand gegen die kolonialen Bewässerungsprojekte der East India Company, welche sich verheerend  auf die lokalen und kommunalen Bewässerungssysteme auswirkte. Für diese Maßnahmen wurden auch noch Steuern von der lokalen Bevölkerung verlangt.

Wie wir aus diesen Beispielen bereits herauslesen können, sind Zerstörungen der Natur zu einem großen Teil menschengemacht und haben mit Machtsystemen zutun. Sehr oft liegt eine Mentalität der Gewalt, Unterwerfung, Macht und Ausbeutung zugrunde. Der Respekt gegenüber Menschen und der Natur werden grenzenlos missachtet. Doch woher kommt diese Mentalität? Viele westliche Philosophen haben seit Jahrtausenden suggeriert, diese Mentalität würde dem Menschen von Natur aus innewohnen. Dabei wurde die Tatsache ignoriert, dass Menschen und ihr Handeln von der gesellschaftlichen Ordnung geformt werden, die uns umgibt. Philosophen wie Tocqueville oder Hobbes begründeten mit der angeblichen Unverzichtbarkeit und Natürlichkeit von Gewalt die Errichtung von Machtsystemen wie den Kolonialismus oder den modernen Staat.

Dabei liegt der Grund für die Mentalität der Gewalt vielmehr in der Tatsache, dass Menschen seit 5000 Jahren unter hierarchischen Verhältnissen leben. Das Wort „Freiheit“ entstand erst in der Abwesenheit von Freiheit, und zwar als vor 5000 Jahren die ersten Staaten erschaffen wurden. Dem ging eine systematische Unterwerfung von Frauen voraus, die zuvor die leitenden Figuren der Gesellschaft waren. Viele Historiker*innen liefern u.A. archäologische Beispiele, die belegen, dass ein erheblicher Teil der Menschheitsgeschichte von matrizentrischen Werten geprägt war, d.h. Gesellschaften um Frauen und Mütter herum gebildet waren. In alten Mythologien, sowie auch in den ältesten Erzeugnissen menschlicher Kunst (z.B. Figurinen), haben Frauen eine zentrale Bedeutung. In diesen sog. „prähistorischen“ Gesellschaften wurde die Natur auch nicht als etwas externes definiert. Matriarchatsforscher*innen gehen davon aus, dass der Beginn des Patriarchats, d.h. männlich-hegemonialer Herrschaft, ein systematischer Prozess war, in dem Frauen und ihre Strukturen bewusst unterjocht wurden. Diesen Zeitpunkt der Geschichte können wir als den Beginn der Hierarchie markieren. Patriarchale, ausbeuterische sowie der Natur gegenüber feindlich gesinnte Ideologien hatten dort ihren Anfang. Aus der Perspektive der kurdischen Frauenbewegung zieht sich diese Linie der Macht seit 5 Jahrtausenden bis in unsere Tage, wo sie die Gestalt des modernen, kapitalistischen Staates annimmt.

Geschichte sollte jedoch nie ausschließlich aus Machtperspektive gelesen werden, sondern insbesondere auch „von unten“. So sehen wir, dass Widerstände gegen das Patriarchat, gegen den Staat und gegen ausbeuterische Systeme trotzdem weiterhin existiert haben. Es existierte immer eine gesellschaftliche Realität gegenüber der hierarchischen. Wir sehen tiefgreifende Aufstände von Frauen, die niedergeschlagen wurden. Wir sehen Kulturen der Kollektivität und der Naturverbundenheit, die im Zuge von „Modernisierungsmissionen“ ausgerottet wurden. Wir sehen die Existenz holistischer Weltanschauungen, die die Erde und seine Lebewesen als eins betrachten, anstatt die Welt in Kategorien wie Sklave-Herrscher, Frau-Mann, Natur-Mensch oder Gesellschaft-Staat aufzuspalten.

Nur durch die ständige Zerschlagung dieser gesellschaftlichen Realität konnte die Zerstörung der Erde, wie wir sie heute sehen, ermöglicht werden; nur durch das Aufzwingen der Idee, der Mensch sei Herr über die Natur und dürfte sie kontrollieren und ausbeuten wie er es möchte. In diesem Zusammenhang wurden Frauen und die Natur oft von westlichen Philosophen gleichgesetzt: Beide gilt es zu kontrollieren und zu bändigen, denn beide sind feindlich, unberechenbar, rebellisch und führen ins Verderben. Nur eine kontrollierte Natur und eine kontrollierte Frau können akzeptiert werden, so die Ansichten vieler bekannter männlicher Philosophen des Westens.

Solche Theorien entstanden oft im Kontext historischer Höhepunkte, in denen neue Resourcen fürs Kapital geschaffen werden mussten. Hausfrauisierungen, welche Frauen zur kostenlosen Arbeitskraft machten, so wie auch Manipulationen und Zerstörungen der Natur, um Profit zu schlagen, wurden auf diese Weise legitimiert. In der heutigen kapitalistischen Moderne gelten Profit und Gewinn fast schon als Tugenden. So werden die Ausrottung der Natur und die Ausbeutung von Menschen mit Gewinnmaximierung und Wirtschaftswachstum „legitimiert“. Diese Idee wurde so sehr verinnerlicht, dass sich viele Menschen nicht mehr wehren und diese Ausbeutung als normal betrachtet wird. Viele Menschen lässt es kalt, dass z.B. Kinder und Frauen in China, Bangladesch oder Indien den ganzen Tag unter schweren Bedingungen arbeiten, und das für wenige Cent, nur damit sich Milliardenunternehmen wie H&M und Primark Kosten sparen können. Der moderne Kapitalismus darf alles: Menschenrechte missachten, Frauen und Kinder unbezahlte Arbeit machen lassen, die Umwelt mit Füßen treten, über Leichen gehen.

Von einem wahrhaften ökologischen Kampf kann in diesem Sinne nur gesprochen werden, wenn diese Mentalitäten auf sämtlichen Ebenen aufgebrochen werden. Er geht einher mit einem Kampf für eine solidarische und sozialistische Lebensweise, die die Natur und alle Lebewesen respektiert. Solange anstelle der kapitalistischen Moderne keine Demokratische Moderne aufgebaut wird, können die tiefgreifenden Probleme der Gegenwart wie Klimawandel, Landdegradation, Müllüberschuss, das Aussterben vieler Arten sowie Massentierhaltung nicht überwunden werden. Es kann keine stabile, gesunde Erde geben in einem System, in dem sinnlose Waren massenhaft und meist unter prekären Verhältnissen produziert werden; in dem diese unkontrollierte industrielle Produktion die CO2-Konzentration jeden Tag erhöht und die Luft verschmutzt; Wälder verbrannt und abgeholzt werden für wirtschaftliche Zwecke; und Tiere auf engstem Raum gemästet und gequält werden, um den scheinbar unstillbaren Hunger auf Fleisch zu stillen.

Dieses System degradiert nicht nur die Erde, sondern hält sich gleichzeitig durch Unterdrückung und Ausbeutung am Leben. Es kann nur auf den Schultern von Arbeiter*innen, Frauen und Jugendlichen überleben, vor allem jene in sogenannten „unterentwickelten“ Ländern: frühere Kolonien Europas sowie Länder, die sich heute noch immer durch imperialistische Politik an der Macht halten. Dabei sind es Arbeiter*innen, Frauen, Jugendliche und Menschen im „globalen Süden“, die kaum etwas von diesem System haben. Ihre Energie wird ausgebeutet während überwiegend alte, reiche, weiße Männer im Westen sich zurücklehnen. 50% des angeblichen „Reichtums“, das der Kapitalismus allen verspricht, gehört nur 1% der Weltbevölkerung.

Ein Hauptgrund für das Fehlen eines ausreichend organisierten Widerstandes liegt in der Tatsache, dass unsere Belange augenscheinlich getrennt sind. Feminismus, Umweltaktivismus, Antikriegsbewegung, Antifa, Anarchismus, Sozialismus, antikolonialer Widerstand, Arbeiteraufstände und Streiks haben im Laufe der letzten Jahrhunderte unglaublich große Schritte erkämpft. Doch der stärkste Kampf wird erst dann entstehen, wenn diese Themen gemeinsam begriffen werden: Kein Kapitalismus ohne Kolonialismus, kein Kolonialismus ohne Umweltzerstörung, keine Umweltzerstörung ohne Vertreibung und Flucht, kein Patriarchat ohne Krieg, kein Faschismus ohne Gewalt, kein Krieg ohne die Ausnutzung von Jugendlichen. 

Der Beginn der kapitalistischen Moderne war begleitet von der massenhaften Vernichtung von Frauen; vom Gedanken, die Natur müsse beherrscht werden; und vom Aufbau von Imperien und Kolonien Europas auf der ganzen Welt, verbunden mit zahlreichen Genoziden, Krieg und Plünderungen. Der langzeitige Effekt dessen ist unsere tiefe Entfremdung von uns selbst, von unserer Gesellschaft und von der Natur. Während es nur noch wenige isolierte Völker gibt, die in Gemeinschaft und in der Natur leben, begreifen die meisten von uns die Natur als etwas außerhalb von uns. Das zeigt sich vor allem auch in einer großen Unwissenheit über die grundlegendsten Aspekte des Lebens. Vor allem gegen Frauen wurde hierbei effektiv vorgegangen. Die „Hexen“ die in der frühen Neuzeit massenhaft verbrannt, gefoltert und ermordet wurden, waren meist weise Frauen, Hebammen oder Heilerinnen – weshalb sie so sehr gefürchtet wurden, denn selbst die obersten Schichten waren auf sie angewiesen. Dieser Massenfeminizid hatte viele Facetten, eine davon war es, Frauen von ihrem Wissen über sich selbst zu trennen. Auch heute werden weibliche Körper tabuisiert, mystifiziert, beschämt, übersexualisiert und unterdrückt. Oft wissen wir selbst extrem wenig über unseren Körper, während der Körper von Männern meist als menschliche Norm in allen Anatomiebüchern auftritt. Wissen über unseren Körper müssen sich viele Mädchen selbst erarbeiten. Weibliche Sexualität wird geleugnet, verteufelt, übergangen, und teilweise als abstoßend und eklig begriffen. Vor allem aber wird sie noch immer fremddefiniert, denn sämtliche Beziehungen zwischen uns, unseren Körpern, unserer Sexualität, zur Natur und zur Gesellschaft wurden abgetrennt. Das Narrativ über unsere eigene Realität wurde uns aus den Händen gerissen. Diese historische Verbindung zwischen der Natur und Frauen verstanden werden. Nicht, um damit essentialistische oder biologistische Auffassungen zu begründen, sondern um zu verstehen, dass all diese Strukturen gleichen Ideologien entspringen.

Es braucht also einen ganzheitlichen Kampf, in dem Ökologie nicht die einzige, aber eine von vielen zentralen Facetten ist. Dieses ganzheitliche Verständnis, das alle Machtsysteme als ineinander übergreifend wahrnimmt, kann damit beginnen, dass wir uns mit anderen Seiten der Geschichte beschäftigen und sie schreiben; diese Geschichten mit großem Fingerspitzengefühl zu interpretieren und so eine Praxis zu entwickeln, die nicht in die zahlreichen Tappen des Systems, wie etwa die Idee eines „grünen Kapitalismus“ reinfällt. Ein organisierter Kampf von Jugendlichen, Frauen, Arbeiter*innen, Migrant*innen und aller unterdrückten Geschlechter könnte dieses System in nur einem Schlag in seinen Grundfesten erschüttern – doch dies muss geschehen mit einem Bewusstsein, dass wir uns gemeinsam erarbeiten. Mit einem starken Bewusstsein und einer daraus entspringenden Selbstverteidigung kann ein Leben entstehen, in welchem all die verschiedenen Komponenten der Natur harmonisieren.