Offener Brief: Stoppt den illegalen und unmoralischen Krieg der Türkei gegen Frauen in Afrin!
Wir schreiben, um ein Ende aller Formen von Gewalt gegen Frauen im Kanton Afrin im Norden Syriens zu fordern und um internationalen Druck auf die Türkei einzufordern, damit die Türkei ihre Streitkräfte aus Afrin zurückzieht. Wir fordern Gerechtigkeit für die viele Opfer der Verbrechen türkisch unterstützter Milizen und wollen erreichen, dass eine Rückkehr von Tausenden von Binnenvertriebenen, die infolge der türkischen Invasion aus Afrin fliehen mussten, möglich wird.
Im Januar 2018 begannen die Türkei und ihre alliierten syrischen Milizen einen Angriff auf den Kanton Afrin, der Teil der Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) ist. Dieser illegale Akt der Aggression war in erster Linie seitens der Türkei darin begründet, Demografie der Region verändern, die historisch aus mehrheitlich kurdischen mit kleineren ezidischen und alevitischen Gemeinden bestand. Im Laufe der brutalen Invasion und die Besatzung, die bis heute andauert, wurden mehr als zwei Drittel der ursprünglichen Bevölkerung Afrins vertrieben.
Neben einer ethnischen Säuberung ist die Invasion und Besetzung Afrins auch eine gezielter Angriff auf Frauen. Die Frauen von Afrin hatten einige der fortschrittlichsten Gesetze, Institutionen und Politiken in der Welt geschaffen und umgesetzt, um alle Formen von Gewalt und Diskriminierung von Frauen zu bekämpfen sowie dafür gesorgt, dass Frauen auf allen Ebenen der politischen und militärischen Entscheidungsfindung ausgebildet und vertreten waren.
Die Besatzungsmächte haben diese Fortschritte nicht nur zerstört, sondern terrorisieren gerade jene Frauen, die diese ermöglicht hatten.
Die von der Türkei unterstützten Gruppen der Syrischen Nationalarmee (SNA) haben gezielte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Frauen begangen, einschließlich Vergewaltigung und die Versklavung in Zwangsheirat. Mehr als 200 Frauen und Mädchen, deren Identität bekannt ist, wurden Berichten zufolge seit 2018 von bewaffneten Gruppen entführt. Sexuelle Gewalt und Folter sind in SNA-Haftanstalten weit verbreitet. Es ist wahrscheinlich, dass diese Verbrechen noch weit häufiger vorkommen als bekannt ist, da Aussagen für eine Berichterstattung aufgrund des sozialen Stigmas sehr eingeschränkt sind und die Aufdeckung von Fällen und ihre Veröffentlichung unter dem Besatzungsregime ein hohes Risiko für alle Beitragenden bedeutet, so dass diese Arbeit oftmals nicht möglich ist.
Die Besatzung hat auch die soziale und politische Diskriminierung von Frauen und Mädchen aktiv verstärkt und hat dazu geführt, dass sog. schädliche Praktiken zugenommen haben, die ursprünglich von der AANES verboten worden waren. Frauen und Mädchen in Afrin fühlen sich unsicher, wenn sie ihre Häuser verlassen, es sei denn, sie halten sich an konservative religiöse Kleidungsvorschriften und werden von einem männlichen Verwandten begleitet. Die Rate der Kinderehen ist aufgrund des Drucks der bewaffneten Gruppen auf die Familien unverheirateter Mädchen stark gestiegen. Offizielle religiöse Behörden, die mit den von der Türkei unterstützten SNA und der Syrischen Übergangsregierung (SIG) verbunden sind, haben entschieden, dass die Tötung von Frauen durch männliche Verwandte manchmal zulässig sind.
Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) war die einzige politische Autorität in Syrien, die Polygamie, Zwangsheirat, Kinderehe und die so genannten „Ehrenmorde“ als gleichwertige Verbrechen wie andere Formen von Mord strafrechtlich definiert, verboten und verfolgt hat. Diese Schutzmaßnahmen und Gesetze zur Gewährleistung der Gleichstellung waren in Afrin zuvor stark verankert und umgesetzt worden, wie auch die Gesetzgebung bei Erbschaft, Ehe, Scheidung und andere persönliche Statusangelegenheiten die Gleichstellung garantiert hatte. Der Kanton Afrin hatte im Jahr 2014 bahnbrechende Frauengesetze in Kraft gesetzt, um die bestehenden Ungleichheiten im syrischen Recht gezielt anzugehen; die SIG stufte diese fortschrittlichen Gesetze in ihrer Wirkung als ebenso schlimm, sprich „terroristisch“ ein, wie die Gesetze, die von ISIS eingeführt worden waren.
Das Ausmaß der politische Diskriminierung wird deutlich, sieht man die politische Repräsentation der Frauen an. Frauen machen heute weniger als 10% der Mitglieder der von der Türkei unterstützten lokalen Regierungen aus. Einige von der Türkei unterstützten Räte haben überhaupt keine weiblichen Mitglieder. Keine einzige Frau ist derzeit in einer Führungspositionen in einem der lokalen Räte in Afrin tätig.
Unter der AANES mussten Frauen laut Gesetz 40% aller gewählten Gremien ausmachen und Führungspositionen wurden über ein Co-Vorsitzsystem zu gleichen Teilen zwischen Männern und Frauen aufgeteilt. Parallele Frauenräte und -Versammlungen existierten neben Gremien mit gemischtgeschlechtlicher Zusammensetzung und hatten das Mandat, sie in Gesetzgebungsfragen im Zusammenhang mit den Rechten der Frau zu überstimmen.
Nach Angaben der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu Syrien haben die Muster der Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen durch die Besatzungsmächte in Afrin ein „allgegenwärtiges Klima der Angst“ geschaffen, das sie tatsächlich auf ihre Häuser beschränkt hat.“ Viele Frauen und ihre Familien sind sogar gerade wegen der Bedrohung durch sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt aus Afrin geflohen, was darauf hindeutet, dass diese Verbrechen eine Rolle bei der Massenvertreibung und dem erzwungenen demografischen Wandel spielen.
Dieser illegale und unmoralische Krieg gegen Frauen kann nicht länger weitergehen.
Deshalb fordern wir als feministische Organisationen, Menschenrechtsorganisation und besorgte Personen:
- eine unparteiische internationale Untersuchung aller gegen Frauen gerichteter Formen von Gewalt und Diskriminierung;
- dass alle Täter sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt in Afrin sowie Personen mit Befehlsgewalt und alle, die verantwortlich für das handeln dieser Täter und Verbrechen sind, vor Gericht gestellt werden;
- internationalen Druck auf die Türkei und die SNA, damit diese sich aus Afrin zurückziehen und allen Vertriebenen erlauben, im Rahmen einer politischen Wiederansiedlungslösung in Syrien nach Hause zurückzukehren;
- verstärkte Unterstützung für Binnenvertriebene, die aus Afrin vertrieben wurden und jetzt in anderen Teilen Syriens leben.
Supporting organisations
C ongress of Women‘s Organizations from Rojava – Kongra Star; Kurdish Women‘s Movement in Europe (TJK-E); The Association for Women’s Rights in Development (AWID); International Alliance of Women (IAW); Women in Kurdistan National Congress (KNK Jin); Terre des Femmes e.V.; Kurdish Women‘s Office for Peace – CENÎ; Umbrella organization of the Yezidi women’s councils (SMJE); Deutscher Frauenring; I nternationale Frauenliga für Fried en und Freiheit (IFFF); FiLiA UK